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Spiegel Online durfte ein Dossier, in dem alte Wort- und Bildberichterstattungen über eine schwere Straftat zusammengefasst sind, zum kostenpflichtigen Abruf bereithalten

Der Bundesgerichtshof hat es für zulässig erachtet, dass Spiegel Online im Internet ein Dossier mit Altmeldungen über den Mord an Walter Sedlmayr zum Abruf bereitgehalten hat, in denen der Name der Verurteilten genannt wurde und kontextbezogene Bilder der Verurteilten enthalten waren.

Die Kläger wurden im Jahr 1993 wegen Mordes an dem Schauspieler Walter Sedlmayr zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Im Jahr 2004 stellten sie Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens, vor deren Zurückweisung sie sich an die Presse wandten. Im Sommer 2007 bzw. Januar 2008 wurden sie auf Bewährung entlassen. Die Beklagte betreibt das Internetportal www.spiegel.de. Dort hielt sie in der Rubrik "Dossiers" unter dem Titel "Walter Sedlmayr Mord mit dem Hammer" eine Zusammenstellung von fünf älteren Veröffentlichungen aus der Druckausgabe des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" bzw. ihrem Internetauftritt zum kostenpflichtigen Abruf bereit. In mehreren dieser Meldungen waren die Kläger als wegen Mordes an Walter Sedlmayr Angeklagte bzw. Verurteilte namentlich bezeichnet. Die Veröffentlichungen vom 21. September und 30. November 1992, in denen über die Anklageerhebung bzw. den Beginn der Hauptverhandlung berichtet wurde, enthielten Fotos der klagenden Verurteilten.

 

Der Bundesgerichtshof hat die Klagen abgewiesen. Zwar liege in dem Bereithalten der die klagenden Verurteilten identifizierenden Meldungen zum Abruf im Internet ein Eingriff in deren allgemeines Persönlichkeitsrecht. Der Eingriff sei aber nicht rechtswidrig, da im Streitfall das Schutzinteresse der klagenden Verurteilten hinter dem von Spiegel Online verfolgten Informationsinteresse der Öffentlichkeit und seinem Recht auf freie Meinungsäußerung zurückzutreten habe. Das beanstandete Dossier beeinträchtige das Persönlichkeitsrecht der Kläger einschließlich ihres Resozialisierungsinteresses unter den besonderen Umständen des Streitfalls nicht in erheblicher Weise. Es sei insbesondere nicht geeignet, die klagenden Verurteilten "ewig an den Pranger" zu stellen oder in einer Weise "an das Licht der Öffentlichkeit zu zerren", die sie als Straftäter (wieder) neu stigmatisieren könnte. Die in ihm zusammengefassten Meldungen enthalten sachbezogene, wahrheitsgemäße Aussagen über ein Kapitalverbrechen an einem bekannten Schauspieler, das erhebliches öffentliches Aufsehen erregt hatte. Angesichts der Schwere des Verbrechens, der Bekanntheit des Opfers, des erheblichen Aufsehens, das die Tat in der Öffentlichkeit erregt hatte, und des Umstands, dass sich die Verurteilten noch im Jahr 2004 um die Aufhebung ihrer Verurteilung bemüht hatten, waren die Meldungen zum Zeitpunkt der erstmaligen Veröffentlichung zulässig. Hieran habe sich trotz der zwischenzeitlich erfolgten Entlassung der Kläger aus der Haft nichts geändert. Dem Dossier komme nur eine geringe Breitenwirkung zu. Es enthalte nur eindeutig als solche erkennbare Altmeldungen und war nur durch gezielte Suche auffindbar. Darüber hinaus setze die Kenntnisnahme von den die Kläger identifizierenden Inhalten den kostenpflichtigen Abruf des Dossiers voraus, wodurch der Zugang zu den beanstandeten Inhalten zusätzlich erschwert wurde. Zu berücksichtigen sei weiterhin, dass ein anerkennenswertes Interesse der Öffentlichkeit nicht nur an der Information über das aktuelle Zeitgeschehen, sondern auch an der Möglichkeit besteht, vergangene zeitgeschichtliche Ereignisse zu recherchieren. Würde das weitere Bereithalten eindeutig als solcher erkennbarer und im Zeitpunkt der erstmaligen Veröffentlichung zulässiger Altmeldungen auf dafür vorgesehenen Seiten zum Abruf im Internet nach Ablauf einer gewissen Zeit oder nach Veränderung der zugrunde liegenden Umstände ohne weiteres unzulässig und wäre Speigel Online verpflichtet, von sich aus sämtliche archivierten Meldungen immer wieder auf ihre Rechtmäßigkeit zu kontrollieren, würde die Meinungs- und Medienfreiheit in unzulässiger Weise eingeschränkt. Angesichts des mit einer derartigen Kontrolle verbundenen personellen und zeitlichen Aufwands bestünde die Gefahr, dass Spiegel Online entweder ganz von einer der Öffentlichkeit zugänglichen Archivierung absehen oder bereits bei der erstmaligen Veröffentlichung die Umstände ausklammern würde, die - wie vorliegend der Name des Straftäters - die Meldung später rechtswidrig werden lassen könnten, an deren Mitteilung die Öffentlichkeit aber im Zeitpunkt der erstmaligen Berichterstattung ein schützenswertes Interesse hat.

 

Den Klägern stehe auch kein Anspruch auf Unterlassung erneuter Verbreitung der in den Meldungen vom 21. September und 30. November 1992 enthaltenen Bilder zu. Bei den beanstandeten Abbildungen handele es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte, die auch ohne Einwilligung der Kläger als Teil des beanstandeten Dossiers zum Abruf im Internet bereitgehalten werden durften. Die Fotos illustrierten die Meldungen vom 21. September bzw. 30. November 1992, in denen wahrheitsgemäß, sachbezogen und objektiv über die Anklageerhebung gegen die klagenden Verurteilten wegen Mordes an einem bekannten Schauspieler bzw. den Beginn der Hauptverhandlung berichtet werde und die damit an ein zeitgeschichtliches Ereignis anknüpften. Die Aufnahmen seien somit kontextbezogen.

Datum: 09.02.2010

Quelle: Bundesgerichtshof ? PM Nr. 30/2010 vom 09.02.2010

Link:http://www.bundesgerichtshof.de

Aktenzeichen:VI ZR 243/08, VI ZR 244/08